Balance und Partnerschaft

Emma Jane, die persönlichkeitsstarke Vielseitigkeits-Stute und ihr Reiter, der in Meilen wohnhafte Ruedi Isler, vertraten die Schweiz im Concours Complet-Team an den Weltreiterspielen im spanischen Jerez vom 9.-16. September. 54 Nationen traten in den sieben Disziplinen Dressur, Springen, Concours Complet (=Military), Vierspännerfahren, Voltige, Endurance und Reining an. Nur sieben Nationen - darunter die Schweiz - stellten vollständige Equipen in allen Disziplinen. Der Meilemer Kommunikationsberater Christoph Meier, langjähriger Freund und Weggefährte Islers im Militarysport, führte kurz vor der Abreise ein Gespräch mit ihm.

Christoph Meier:
Wenn Du "Emma Jane" sagst, machst Du ein Gesicht, wie wenn Du von einer Geliebten sprächest. Wer ist Emma Jane?

Ruedi Isler:
Es ist auch eine ganz spezielle Beziehung, die ich zu meiner 14-jährigen Irländerstute habe. Sie ist eine hochsensible, starke Persönlichkeit - Zeichen ihrer Rennpferdeabstammung - und ist mit 1000 Antennen bestückt, die die kleinsten Veränderungen in der Umgebung erfassen. Ich empfinde viel Respekt für sie und fühle mich in hohem Masse verantwortlich für ihr Wohlbefinden. Ihre psychische und physische Verfassung beschäftigen mich manchmal rund um die Uhr. Ein tolles Pferd mit dem ich gerne zusammen bin.

Das klingt nach Traumpaar. Und wie habt ihr euch gefunden?

Emma Jane wurde von Hans Weber (Tierpfleger am Tierspital Zürich) aus Irland importiert. Meine Partnerin Gianna Olivier sah das Pferd in seinem Stall und sehr schnell wurden sie handelseinig. Zusammen mit dem erfahrenen Reitlehrer und Pferdeausbildner Felix Lejeune haben die beiden mit viel Geduld, Ausdauer und Beharrlichkeit dem Pferd die Grundausbildung beigebracht. Emma Jane war damals sechsjährig, und mit acht durfte ich sie zum ersten Mal reiten. Beim ersten Sprung wusste ich: ein Klassepferd!

Der Weg zur WM-Reife ist im Militarysport lang und oft mit Enttäuschungen und Rückschlägen verbunden. Wie war das bei Euch?

Wir bestritten im ersten Jahr zwei L-Prüfungen (leicht), dann gleich M (mittelschwer). Von da an gings sukzessive aufwärts, Schritt um Schritt die internationale Stufenleiter hoch über eine erste lange Prüfung (mit Rennbahn-Teil) 1998 in Vittel, über die Bronzemedallie an den Schweizermeisterschaften 2001 bis zum vorläufigen Höhepunkt letztes Jahr an der Europameisterschaft in Pau (Frankreich), wo wir das beste Schweizer Paar waren. Probleme gab und gibt es immer wieder wegen ihrer Stutenhaftigkeit. Sie ist während ihrer fünf- bis sechstägigen Rossigkeit sehr diffizil und will anders behandelt werden. Sie kann dann etwas zickig oder auch einmal ganz träg sein. Ich versuche dann, auf sie einzugehen, lasse sie vielleicht mehr in Ruhe oder beschäftige mich anders als sonst mit ihr. Wenn die Rossigkeit auf die Dressurprüfung fällt, kann das zu einer Leistung führen, die unter ihren Möglichkeiten liegt. Aber im Gelände hatte ich immer das Gefühl, dass sie voll mitmacht und für mich kämpft. Die Bereitschaft von Emma Jane, mitzumachen ist immer wieder beeindruckend und ich habe mich bemüht, sie weder physisch noch psychisch je zu überfordern, sodass das Vertrauen stetig wuchs.

Und jetzt geht's also an die WM. Bist Du nach 37-jähriger reiterlicher Vorbereitung am Ziel aller Wünsche angelangt?

Nein. Natürlich ist es faszinierend, sich mit den Besten der Welt zu messen. Und es ist auch ein Treffen mit vielen Freunden aus aller Welt. Es mag abgedroschen klingen, aber wir Vielseitigkeitsreiter sind wirklich eine grosse Familie, wo jeder sich freut, wenn dem andern auch eine gute Runde über ein anspruchsvolles Cross gelingt. Natürlich will jeder gewinnen, aber die gegenseitige Hilfe, Unterstützung und Solidarität ist immer wieder beeindruckend. Diese Achterbahn der Gefühle vor und nach einer grossen Prüfung mit Gleichgesinnten zu teilen, die aus eigenem Erleben wissen, worum es geht, kann man vielleicht vergleichen mit der gemeinsamen Besteigung eines schwierigen Berges oder einem gemeinsamen Tauchgang in grosse Tiefe. Jeder kämpft mit seinen eigenen Schwierigkeiten, aber Freud und Leid wird geteilt. Der Geländeritt widerspiegelt im Zeitraffer das Leben mit all seinen Hindernissen, Höhen und Tiefen, die überwunden werden wollen.- Nein, nicht die WM, sondern der Weg dahin und darüber hinaus ist das Ziel.

Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, um dorthin zu gelangen, wo ihr zwei jetzt seid?

Reiten hat viel mit Balance zu tun, mit physischem und psychischem Gleichgewicht. Es geht darum, diese Balance einzeln und als Paar immer wieder zu suchen, zu verbessern und zu stabilisieren. Nur der ruhige, beherrscht und konsequente Umgang mit Tieren führt zu einer Harmonie. Zentral ist auch die Wahrnehmung: Wach, und immer bereit, kleinste Veränderungen beim Pferd zu registrieren oder noch besser vorauszuahnen und intuitiv richtig darauf einzugehen. Das Arbeiten mit Tieren ist für mich Lebensschule - nur wenn ich an mir selber arbeite und versuche besser zu werden wird sich die Balance verbessern.

Was erwartet euch denn in Jerez?

Zuerst einmal eine lange Reise im Lastwagen. Die Pferde werden bestens betreut und reisen bequem. An einem neuen Ort sind sie oft sehr aufgekratzt, denn sie wissen genau, was auf sie zukommt. Sie kennen ihren Job. Es ist wichtig, sie wieder in die Ruhe und Gelassenheit zurück zu bringen, Voraussetzung für das Gelingen der Dressurprüfung, die an den ersten beiden Wettkampftagen ansteht. Das geforderte Programm ist neu und sehr anspruchsvoll mit all den fliegenden Galoppwechseln und Seitengängen. Emma Jane ist hoch leistungsbereit und fit. Da fällt es ihr manchmal nicht leicht, locker und losgelassen im Viereck herumzutanzen und Pflichtübungen zu erfüllen. Aber die meisten Konkurrenten haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Vom Geländeparcours erwarte ich, dass alles gefordert wird, was ein Championatspaar heute können muss. Der Geländebau hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer mehr wird neben Tempo und Mut auch reittechnisches Geschick, Präzision, Durchlässigkeit verlangt, lauter athletische Eigenschaften, die alle auf hohem Niveau vorhanden und erarbeitet sein müssen. Am Tag nach dieser auch viel Ausdauer fordernden Geländeprüfung muss Emma Jane zuerst vor den Tierärzten und der Jury zeigen, dass sie alles gut überstanden hat und fit ist für das abschliessende Parcoursspringen. Hier zeigt sich, ob ich sie konditionell und technisch richtig vorbereitet habe, aber auch, ob ich während der Prüfung ihre Leistungsbereitschaft und äussere Faktoren wie Wetter, Bodenverhältnisse, Topographie der Strecke richtig eingeschätzt habe. Hat meine Wahrnehmung während der Geländeprüfung funktioniert? Habe ich wirklich während des ganzen Ritts in mein Pferd hineingehorcht und auch auf unerwartete Veränderungen richtig reagiert?
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Wie bringst du Reiterei auf WM-Niveau mit den beruflichen Anforderungen unter einen Hut? Du bist ja wider Erwarten kein Reitprofi, sondern führst ein Unternehmen in Dürnten namens Eco Medics, das Hightech-Geräte für den Medizinbereich herstellt.

Ich reite - wie viele andere auch - hauptsächlich am Feierabend und am Wochenende, habe aber ein ganzes Team von Helfern, das bei der Pflege und dem Fitness-Training von Emma Jane mithilft. Auch im Beruf, wo ich früher ein Einzelkämpfer war, habe ich gelernt, dass das Arbeiten in einem Team erfolgreicher und auch befriedigender ist. Ich habe gute Partner und Mitarbeiter im Geschäft, die Verantwortung tragen wollen und können. So konnte ich den operativen Bereich abgeben und mich wieder ganz auf Forschung und Entwicklung konzentrieren. Entscheidend ist aber auch das ganz private Umfeld. Meine Partnerin Gianna denkt und fühlt kompetent und engagiert mit, kennt mich und Emma Jane in- und auswendig. Das hilft vor allem auch in kritischen Situationen, den Bezug zur Realität nicht zu verlieren. Sie ist selbstverständlich in Jerez dabei und meine wichtigste Stütze. Ohne dieses Umfeld wäre es für micht nicht möglich, auf dieser Stufe Sport zu betreiben.

Wie hast Du Dich in all den Jahren mit den wechselnden Verbandsoberen verstanden?

Jeder TK Chef hat immer wieder neue Impulse gebracht. Ich kann mich eigentlich nur an gute Zeiten in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Verband und Funktionären erinneren. Heute schätze ich, dass stark auf Eigenverantwortung gezählt wird. Mit unserem Eqipenchef Guy Moilliet wird besprochen, wie die Vorbereitung laufen soll und dann liegt es an uns, dies so gut wie möglich zu tun. Brauchen wir Beratung oder Unterstützung in irgendeiner Form, so sind die Türen nie verschlossen. Habe ich mich entschlossen, für ein Championat zu trainieren, so unterstelle ich mich automatisch den Regeln von FEI und Verband und somit akzeptiere ich als Sportler deren Spielregeln. Wichtig scheint mir, dass der Sportlervertreter in der SelKo von den Kadermitgliedern und nicht vom Vorstand des Verbandes gewählt wird.

Ihr beide wohnt da wunderschön auf der Reitanlage Bundi am Pfannenstiel der Familie Suter. Reichte diese Infrastruktur aus, um Emma Jane WM-bereit zu machen?

Neben Halle, Sandplatz und grosszügigen Weiden haben wir die Galoppbahn des Reiterverbands Pfannenstiel fast vor der Haustür. Die Reitwege am Pfannenstiel reichen für die Basiskondition. Technisches Training mache ich auswärts mit Profi-Trainern. Dressur mit Anna-Menga Aerne in Ottikon, Springen mit Alois Fuchs in Wängi.

Du bist ein echter Seebub?

Na ja, Bub vielleicht nicht mehr, aber in Herrliberg aufgewachsen. Meine Eltern unterstützten die Reiterei von Anfang an. Im Rütihof ob Wetzwil erhielt ich bei Hugo Schmutz die Grundausbildung. Der Umgang mit Pferden hat mir in meiner Kindheit viel Gutes getan. Ich wünsche allen pferdefanatischen Kindern eine so tolle Jugendzeit in einer Clique mit viel Spass, aber auch mit einem hartnäckig und ausdauernd verfolgten Ziel: irgendwann ein guter Reiter zu werden.

Von wegen Bub: wir sind ja beide in fortgeschrittenem Alter für sogenannte Spitzensportler. Nachdem wir letztes Jahr noch zusammen ritten an der EM, habe ich jetzt den Schlussstrich gezogen und lass Dich diesmal alleine ziehen. Schliesslich bist du ein Jahr jünger. Kommts denn bei Reitern überhaupt nicht auf's Alter und auf athletische Qualitäten an?

Sobald ich die Freude am Sportreiten oder die Balance verlieren würde, wäre es wohl auch Zeit für mich. Ein Leben ohne Pferde kann ich mir allerdings nur schwer vorstellen.

Sag uns zum Schluss noch Deinen wichtigsten Wunsch für Jerez. Wir werden dann aufmerksam beobachten, ob er sich erfüllt.

Mein grösster Wunsch ist, dass meine Wahrnehmung in den entscheidenden Augenblicken funktioniert, dass ich jederzeit wach und sensibel auf Emma Jane eingehe; aber auch dass ich die physische und psychische Balance behalte - und damit das Bestmögliche für uns beide, aber auch für das ganze Team erreiche.

Ruedi, danke für das Gespräch und "Hals und Bein" für Jerez!